top of page

Höllenzwang

 

Als Georg Forster 1774 Tahiti betrat war es ein Paradies, aber der geschärfte Blick des Naturforschers erkannte bereits Risse, verursacht durch die europäischen Besucher.
 

So weich der Boden, jeder Schritt eine Verlockung. Die Verwesung hatte den Untergrund zu einem braunen Ruhekissen werden lassen: Generationen von Pflanzen und kleinen Lebewesen, die verrottet waren und ihn nun dazu verführen wollten, die Schuhe auszuziehen und die nackten Fußsohlen in ihre Rückstände zu graben.

 

Vor ihm gingen drei Paare nackter brauner Füße.

Solche Füße sollen eines Tages ihren Weg nehmen über das, was von mir geblieben ist, dachte George, nicht die weißen Füße, die sich über einem Schuhleisten quälen.

Die beiden Frauen sprachen miteinander oder sie sangen im Wechsel, so recht konnte er das nicht unterscheiden. Sie amüsierten sich – über ihn, das konnte er verstehen. Maheine, der an der Spitze ging, sagte nichts. Er wandte sich auch nicht um. Maheine trug einen Speer und eine Hose. Hätte je ein Mann mehr Zeug gebraucht? Die Hose hatte er von einem der Matrosen, und den anderen Insulanern zeigte er damit, dass er sich gut mit den Neuankömmlingen stand. Schon bald beherrschte er einige Worte auf Englisch und Französisch: Haus, Boot, Ort. Mann, Frau, Tier. Essen, schlafen, gehen. Und Schneeballschlacht. Auf den Schiffen gab es Witzbolde, die ihm dieses Wort beigebracht hatten, und Maheine benutzte es für alles, was ihm Unmut bereitete, denn man hatte ihm wohl erklärt, dass es etwas mit Kampf und Auseinandersetzung zu tun hatte.

Maheine. Maheine zeigt mir einen guten Ort, und was ich fürchte ist nicht, dass es doch ein schrecklicher Ort sein könnte, sondern dass der Ort so gut ist, dass er verboten sein muss. Er lächelt mich oft an.

Die Frauen sangen ein Lied darüber. Ein weiches Lied mit Worten wie zerplatzende Blasen aus süßem Sirup, mit Worten, die die sanften Lippen nicht verleugnen konnten, von denen sie kamen.

Er schwitzte. Er schwitzte in seinen Hemd, der Weste, der Halsbinde, den Kniehosen, den Strümpfen und den Schuhen. Den Frack hatte er in der Hütte gelassen. Maheines Haut war braun, bronzefarben, so wie der Boden. So etwa musste Adam ausgesehen haben: Braun oder schwarz, denn Gott hatte ihn ja aus einem Klumpen Erde gemacht und nicht aus Schneeballschlacht.

Aus: „Höllenzwang. Georg Forsters Geister“. Roman (noch ohne Erscheinungstermin)

Maik Schurkus

    

bottom of page